The Good, the Bad, the Ugly and the Beautiful
Ausstellung im Kunstverein Hochrhein vom 1.3. – 29.3.2020
Eröffnungsrede von Frank van Veen, Kunstverein Hochrhein
Der Titel der Ausstellung nimmt Bezug auf den Film von Sergio Leone aus dem Jahr 1966, „The good, the bad and the ugly“, auf Deutsch „Zwei glorreiche Halunken“. Ein Klassiker des Italo Western, schöner: des Spaghetti Western. Dessen etwas komplizierte, wenn nicht gar wirre Handlung lässt sich ungefähr so zusammenfassen: Drei Desperados, die nichts miteinander gemein haben außer der Jagd nach einer Geldkassette mit 200.000 Dollar, werden, wenn es die Situation erfordert, zu Komplizen, ansonsten knallen sie sich gegenseitig ab oder versuchen das wenigstens.
Wikipedia entnehme ich: Es handele sich um die zeitgemäßen Antihelden eines Jahrzehnts – der 1960er – in dem traditionelle Werte in Frage gestellt werden.
Aha!
Nun wird man unsere vier Gäste nicht wirklich als Desperados bezeichnen können (wie heißt eigentlich die politisch korrekte weibliche Form von Desperado?), aber möglicherweise doch – zumindest ein wenig – als nicht gerade in der Mitte der Gesellschaft, im Mainstream lebende Personen – vielleicht Antiheldinnen dieses Jahrzehnts?
Aber im Ernst: Was bringt vier Künstlerinnen dazu, eine gemeinsame Ausstellung, wie wir sie hier sehen, zu konzipieren? Was führt zu einem Konzept, das extra für die Villa B. entwickelt wurde, was führt zu diesem eigenartigen Titel? Ich vermute, die Auseinandersetzung mit den jeweiligen Werken der jeweils anderen Künstlerinnen, das Entdecken von Gemeinsamkeiten, ähnlichen Denkansätzen und Fragestellungen jenseits aller äußerlichen Herangehensweisen. Kommunikation im weiteren Sinne, Dialoge im besten Sinne. Und tatsächlich finden wir in dieser Ausstellung ein Geflecht von Dialogen: Da sind zunächst die Objekt gewordenen (inneren) Dialoge der Künstlerinnen, die Dialoge zwischen den Künstlerinnen, diejenigen zwischen den Arbeiten und nicht zuletzt – mindestens ebenso bedeutsam – die Dialoge zwischen den Betrachtern und den Kunstwerken.
Sie wissen: Ich begreife die Arbeit einer Künstlerin/ eines Künstlers als kommunikativen Akt, als Gesprächsangebot. Es ist der in der Zeit der Erschaffung der Arbeit eingefrorene Moment, der im Zeitpunkt des Betrachtens, der Wahrnehmung, aus der Erstarrung erwacht und in einen Dialog mit dem Betrachter tritt. Ein Kunstwerk muss ein Rätsel sein. Es muss dem Betrachter Anlass geben, sich Fragen zu stellen. Oder es stirbt im Stumpfsinn des Offensichtlichen und leicht Verständlichen. Ein technisch gut gemaltes Bild der Villa Berberich im Herbst ist eben nur das, nichts weiter - Dekoration für die Wand über der Wohnzimmer Couch, wie früher der röhrende Hirsch aus den Fließbandproduktionen der Möbelhäuser.
Aber ich will Sie nicht schon wieder mit meinem Lieblingsthema des der Wahrnehmung langweilen – das haben Sie schon oft genug gehört. Ich möchte auf etwas anderes zu sprechen kommen, Themen, die mir aktuell und wichtig erscheinen und die Sie im Anschluss an meine Worte in der Ausstellung überprüfen können.
Seit geraumer Zeit wird diskutiert, ob Kunst etwas mit Fiktion und damit letztlich auch mit Autonomie zu tun hat oder besser zu tun haben soll. Oder ob Kunst durch Aufladung mit Stoff aus der realen Welt mehr Gewicht, mehr Bedeutung erhält.
Für die Literatur hat die Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk dies in ihrer Dankesrede anlässlich der Verleihung des Preises thematisiert: die Leser sehnten sich nicht so sehr nach Fiktion, sondern wollten mehr und mehr wissen, ob das Geschilderte auch tatsächlich so passiert sei. Ein Günter Grass, ein John Irving hätten unter diesem Postulat wohl keine Chance mehr. Faction statt Fiction.
Ein Protagonist der politisch aufgeladenen Kunst – ich bin mir nicht sicher, ob diese Bezeichnung tatsächlich angemessen ist – ist der chinesische Dissident Ai Weiwei, der, nachdem er mit erheblicher Unterstützung der Deutschen Politik aus Chinas Gefängnissen nach Deutschland ausreisen durfte, uns nun gen Großbritannien verlassen hat, jedenfalls behauptet er das. Weil er die Deutsche Gesellschaft als repressiv wahrgenommen haben will: man könne in Deutschland seine Meinung nicht mehr öffentlich sagen.
Ich möchte nur an zwei seiner Arbeiten erinnern: Nach dem um die Welt gegangenen Foto eines im Mittelmehr ertrunkenen Jungen, der an den Strand einer griechischen Insel angeschwemmt wurde, errichtete Ai Weiwei eben dort ein sogenanntes Monument aus angeschwemmten Schwimmwesten Schutzsuchender. Als er sich vor dem Monument fotografieren ließ, sagte er, er wolle damit auf die Situation der Flüchtlinge aufmerksam machen. Mir kam damals der Gedanke, dass Ai Weiwei wohl in erster Linie auf sich selbst aufmerksam machen wollte, denn die Flüchtlingsthematik war seit 2015 in aller Munde und das Foto des ertrunkenen Jungen ging, wie gesagt, um die Welt. Eine andere Arbeit von Ai Weiwei wurde jüngst in der Prager Nationalgalerie gezeigt: „Law oft he Journey“ besteht aus einem ca. 70 Meter langen Schlauchbot mit mehr als 300 Figuren aus demselben Material. Die Arbeit wirft zahlreiche Fragen auf, u.a. warum die Figuren an Bord nicht wie Individuen wirken, sondern wie Monster aus einer fernen Galaxis. Wieder drängt sich mir die Frage auf, warum eine derart plakative Zurschaustellung die Qualifizierung als Kunst verdient hat und nicht die als eitle selbstdarstellerische Ausbeutung menschlichen Leids.
Und als wenn das nicht alles bereits genug wäre: Zufällig habe ich diese Woche in der Fernsehwerbung einen Spot mit Ai Weiwei gesehen, in dem dieser für den Baumarkt „Hornbach“ wirbt – unter Benutzung von Warnwesten! Ich war mir nicht sicher, ob ich nicht in die Sendung „Mainz bleibt Mainz“ geraten war. Aber: Es gibt halt immer was zu tun…
Ist das tatsächlich so, dass diese durch reale politische Situationen aufgeladenen Arbeiten von größerer Bedeutung sind, weil sie tatsächlich passiert sind? Oder stellt Kunst nicht etwas ganz anderes dar?
Bei der Plattheit der Darstellung, bei dieser Dumpfheit des Eindeutigen, bei dieser narzisstischen Aufdringlichkeit scheint mir, man muss – und ich sage das kategorisch - auf Originalität, auf Phantasie, auf kunstspezifische Kategorien wie Komposition, Machart oder Originalität zu setzen. Picasso hat gesagt, Kunst sei nicht die Anwendung eines Kanons, sondern das, was sich Trieb und Verstand über jeden Kanon hinaus ausdenken können. Und genau das, da bin ich mir sicher, finden Sie in unserer Ausstellung.
Schauen Sie sich die Installation von Julia Brodauf „Herzenswünsche“ an. Eingepackt in nach oben offenen Pappkartons werden Wünsche geäußert, fordernd, ersehnend, heimlich und mit offenem Verlangen: Je veux bien, je désire. Wir alle haben Wünsche, Träume, dumme, vernünftige, unrealistische und verwirklichbare. Vielleicht gestehen wir sie uns ein, vielleicht nicht. Finden Sie weitere Assoziationen.
Wir stehen in einem Raum, der von Xenia Fink „tapeziert“ ist, ich fühle mich eingehüllt in die Papierbahnen, die die Wände verkleiden. Und auf diesen „Tapeten“, diesen Papierbahnen finden sich Zeichnungen, die unsere Sehweise in Frage stellen: Was ist das, was wir dort sehen, können wir etwas erkennen – immerhin sind die Zeichnungen gegenständlich – oder sind wir verwirrt?
Müssen sich diese Arbeiten wirklich der Frage stellen, ob sie in der Realität existieren oder existiert haben? Wie banal sind dagegen die „Werke“ von Ai Weiwei!
Zurück zu den eingangs gemachten Bemerkungen zur Wahrnehmung und der Kunst als Gesprächsangebot. Wahrnehmung – und das ist mir wichtig - ist immer auch Gefühl. Siri Hustvedt, die große amerikanische Schriftstellerin, schreibt: „ Fühlen ist nicht nur unvermeidlich, sondern absolut wesentlich für das Verstehen eines Kunstwerks. Tatsächlich, so Hustvedt weiter, werde ein Kunstwerk ohne Fühlen bedeutungslos.
Das bringt mich zu einem weiteren Thema, nämlich der unsäglichen Sitte, Kunstwerke erklären zu wollen. Besonders herausragend sind insoweit Vernissage-Einführungen und/oder Ausstellungsbeschreibungen in einer Sprache, die der Amerikanische Philosoph Harry Frankfurt als Bullshit bezeichnet hat. Bullshit ist nicht nur ein Schimpfwort, sondern ein soziologischer Begriff. Letztlich geht es dabei um die Frage der Verständlichkeit von Kunst – wenn man diese Frage überhaupt stellen sollte. Muss oder sollte man Kunst verstehen (und deshalb erklärt bekommen), wenn damit ein intellektueller Vorgang gemeint ist? Oder ist es nicht vielmehr so, wie Hustvedt schreibt, dass es sich um Emotionalität handelt, wenn wir ein Kunstwerk wahrnehmen. Ich glaube, dass ein grundlegender Aspekt eines jeden Objektes in den Gefühlen von Freude, Leid, Bewunderung, Ablehnung liegt, die es auslöst. Da den meisten Kunstkritikern und Vernissage Rednern Gefühle suspekt sind, jedenfalls nicht objektivierbar, stürzen sie sich auf scheinbar tiefsinnige Beschreibungen: bei der Arbeit handele es sich um eine „transgressive Geste“, die einen „widerständigen Raum“ öffne und das „andere erfahrbar“ mache. Der Künstler „fordere die gesellschaftlichen Verhältnisse heraus“, er „dekonstruiere“ gleichsam „Überkommenes“ und weise dadurch in eine „offene“ Zukunft der Reflektion.
Tatsächlich gewinnen Sie Zugang zu einem Kunstwerk ausschließlich durch Ihr eigenes Sehen und Fühlen, nicht durch scheinbare und letztlich unverständliche Erklärungen. Der Drang, dem Betrachter Kunst zu erklären, entmündigt diesen, stielt ihm die Möglichkeit, einen eigenen Zugang zum Werk zu finden, auf der Basis seiner Wahrnehmung, geprägt durch seine Lebensgeschichte und nicht durch die Bullshit Erklärungen eitler Selbstdarsteller.
Johanna Smiatek präsentiert ihre abgeschnittenen, mit 24 Karat Gold überzogenen Fingernägel. Davon muss man irritiert sein. Was soll das? Sofort kam mir der Gedanke an die sich seuchenartig ausbreitenden Nagelstudios, in denen sich Frauen die eigenen Nägel abfeilen lassen und durch farbige Kunstnägel ersetzen lassen. Sind diese Frauen nach diesen Operationen schöner, attraktiver, begehrenswerter? Und sind die Fingernägel von Smiatek wertvoller, weil sie vergoldet sind? Oder stellt sie vielleicht eine andere Frage? Denken Sie selbst.
Auch Niki Elbe stellt Fragen, nämlich „Am I pretty?“ Und antwortet sogleich: „No, you`re beautiful“. Ich kann und will diese Frage nicht beantworten, aber ich kann sagen, dass ich die Reihung der teils befremdlichen Portraits – sind das tatsächlich Portraits? – zusammen mit den wie aus den Bildern heraustretenden Keramischen Figuren wie einen Sog empfinde, etwas, das mich, ungeachtet von meinen ästhetischen Vorstellungen, ebenso beunruhigt, wie fesselt.
Um den Bogen zu meinen Themen zu schlagen: Hier sehen Sie Arbeiten, die keine Faction, sondern Fiction sind, die keine Aufladung durch politische Prozesse benötigen, sondern für sich stehen, die Geheimnisse sind und den Betrachter zum Dialog auffordern und die vor allem ihre Autonomie nicht für billige Effekthascherei aufgeben. Erklären muss man sie nicht; sie fordern den Betrachter auf, sich –emotional- mit ihnen auseinander zu setzen. Tun Sie`s!